Von Reims bis Berlin: Brain Roads verbindet Design mit Neurochirurgie
Anfang März werden Design- und Kunststudenten Gehirnoperationen im Universitätskrankenhaus von Reims live verfolgen. Sie werden dazu beitragen, die Medizin und KI voranzubringen, und helfen, das Gehirn besser zu verstehen.

Was kann Design für die Neurochirurgie tun? Schon immer haben sich Künstler in Seziersäle begeben. Am 4. und 5. März werden Design- und Kunststudenten im Rahmen des Projekts Brain Roads im Universitätsklinikum Reims zwei Gehirnoperationen live mitverfolgen. Diese 2019 eingeleitete interdisziplinäre deutsch-französische Forschungsarbeit zielt darauf ab, visuelle Darstellungen und interaktive Werkzeuge zur Erforschung der weißen Substanz des menschlichen Gehirns zu entwickeln.
Zwar verfügen Neurochirurgen bereits über bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT). Vor einer Operation können sie damit den Tumor analysieren. Aber das Gehirn ist von Natur aus aktiv und das gespeicherte Wissen befindet sich in Bereichen, die nicht immer beobachtet werden können.
Mit Gehirnsimulationen arbeiten

Der Designer Olaf Avenati unterrichtet an der Esad in Reims und forscht in Verbindung mit Wissenschaftlern im Bereich der Datavisualisierung. ©MichelleMantel
„Die Bilder von heute sind zweideutig. Entspricht der digitale Zwilling dem, was er darstellen soll? Das ist sehr wichtig, wenn man mit Gehirnsimulationen arbeitet“, erklärt Olaf Avenati, Lehrer an der Ecole supérieure d'art et de design (Design- und Kunsthochschule) in Reims, wo er für den Masterstudiengang Grafik- und Digitaldesign mitverantwortlich ist.
Diese Erkenntnis steht im Mittelpunkt des Projekts Brain Roads. Der Forscher, der mehrere Jahre in Berlin verbracht hat, ist einer der drei Co-Träger dieses Programms zusammen mit Thomas Picht, Professor für digitale Neurochirurgie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, und Patricia Ribault, Lehrbeauftragte für bildende Kunst an der Universität Paris 8. Durch sie werden auf beiden Seiten der Grenze Designer, Kunsthistoriker, Ingenieure, Ärzte und Neurowissenschaftler mobilisiert. Das Projekt Brain Roads wurde von der französischen Botschaft in Berlin und dem Cluster Matters of Activity - Humboldt Universität zu Berlin unterstützt.
Digitaler Zwilling
Der Designer muss digitale Bilder kritisch analysieren und neue Darstellungsweisen vorschlagen, um die Unterschiede zwischen der Realität und dem digitalen Zwilling zu verringern. „Man versucht klar zu sagen, was man weiß und was man nicht weiß, indem man diese Unvollständigkeit ausdrückt“, fährt Olaf Avenati fort.
Nach der Feldstudie wird ein Studientag folgen. Brain Roads war bereits an der Berliner Universitätsklinik und in Montpellier in der Abteilung von Professor Hugues Duffau zu Gast. Dieser Neurochirurg hat sein Fachgebiet mit dem Konzept der Neuroplastizität des Gehirns revolutioniert.
Diese verschiedenen medizinischen Expertisen bringen das Projekt Jahr für Jahr voran. Brain Roads soll 2026 ein Prototyp kreieren, der in Zusammenarbeit mit Télécom SudParis (Groupe Polytechnique) entwickelt wird, wo Olaf Avenati ebenfalls unterrichtet.
Die Art und Weise, wie wir denken
Brain Roads ist nicht nur für die Klinik von Interesse. Die Anwendungen beziehen sich auch auf das gesunde Gehirn, um dieses Organ, seine Funktionen und die Art und Weise, wie wir denken, besser zu verstehen. Das Thema ist natürlich auch für die künstliche Intelligenz von Interesse, da das maschinelle Lernen (Machine Learning, ein Teilbereich der KI) von dem inspiriert wird, was man über das Gehirn verstehen kann.
Es geht aber auch um gesellschaftliche Fragen. Als nützlicher Vereinfachungsvektor wird das Design dazu beitragen, die Komplexität der Wissenschaft in der Bevölkerung zu verbreiten. „Zum Beispiel können wir Patienten Bilder zeigen, die sie verstehen können“, erläutert Olaf Avenati. Die Designstudenten ihrerseits werden dadurch in ihrer Legitimität gestärkt, an verschiedenen Bereichen der Forschung teilzunehmen.
In diesem Jahr werden die jüngsten Arbeiten des Brain Roads-Projekts bei einer Konferenz an der Ecole nationale supérieure de création industrielle (ENSCI-Les Ateliers) in Paris und bei einem Symposium in Berlin vorgestellt.
Modell der weißen Substanz des Gehirns. ©ACourbot/BrainRoads/ÉSADReims2024