„Enfantillages“ zeichnet zwei Jahrhunderte der elsässischen Jugendillustration nach
Das Elsass hat seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Kinderbuchszene hervorgebracht. Die Ausstellung „Enfantillages, l'Alsace aux prémices de l'illustration jeunesse“ im Palais Rohan in Straßburg zeigt die deutschen und französischen Wurzeln.
In dem Team, das sich darum beworben hat, Straßburg zur Unesco-Welthauptstadt des Buches 2024 zu machen, sind unter anderem der Erfinder des modernen Buchdrucks Gutenberg, der Zeichner Tomi Ungerer, der Maler Gustave Doré... und die Kinderbuchillustration vertreten! Das Elsass, das mit Frankreich und Deutschland in Kontakt steht, hat in diesem Verlagswesen seit seiner Entstehung Anfang des 19. Jahrhunderts eine führende Rolle gespielt. Die Ausstellung „Enfantillages, l'Alsace et les prémices de l'illustration jeunesse“ (Enfantillagen, das Elsass und die Anfänge der Jugendillustration) zeichnet diese farbenfrohe und nicht ohne Tragödien verlaufende Geschichte im Palais Rohan nach, die bis zum 17. Februar zu sehen ist.
"Die große Geschichte der Kinder- und Jugendbuchverlage im Elsass in dieser Breite zu erzählen, ist eine Premiere. Unsere Recherchen haben insbesondere die einzigartige Stellung der Region hervorgehoben. Das Elsass liegt an der Schnittstelle zwischen Frankreich und Deutschland und stellt ein Eingangstor für die in beiden Ländern produzierten Werke dar", erklärt Florian Siffer, Leiter des Cabinet des estampes et des dessins und einer der beiden Kuratoren der Ausstellung.
Verzauberte Eingangstür
Die Schriften des deutschen Domherrn Schmid, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts international erfolgreich waren, gelangten so über das Elsass nach Frankreich. Der Straßburger Verleger Levrault gilt als Spezialist für den Autor und als Vorreiter, indem er die moralisierenden Texte ab 1822 mit ersten Illustrationen versieht. Die geografische und kulturelle Nähe zum deutschen Nachbarn betrifft auch das Département Moselle. So wurde ein weiterer Klassiker der deutschen Kinderliteratur, Struwelpetter (1845) des deutschen Psychiaters Heinrich Hoffmann, ab 1850 in Metz unter dem Titel Pierre l'ébouriffé (Der zerzauste Peter) ins Französische adaptiert . Ab 1868 wurde es mehrfach im Elsass aufgelegt.
Ein technologischer Dreh- und Angelpunkt
Neben diesen Bildern und Texten, die der Belehrung dienen sollen, werden in einem zweiten Abschnitt der Ausstellung auch Bilder gezeigt, die der Unterhaltung dienen sollen, insbesondere aus der Produktion der Imagerie de Wissembourg. Mit dem Aufkommen des „Albums“ ab den 1860er Jahren verlagerte sich der Vorrang des Textes auf das Bild. Diese Saga wird in einem dritten Abschnitt anhand einer ganzen Reihe erstklassiger Illustratoren aus dem Elsass beleuchtet, von Gustave Jundt, Charles Émile Matthis und Théophile Schuler im 19. Jahrhundert bis hin zu Henry Morin, Philippe Fix und Tomi Ungerer im 20. Auch den Märchen und Legenden ist ein eigener Raum gewidmet. Jahrhunderts im Elsass wiedergegeben wurden, orientierten sich an der damals in Deutschland beliebten Sammelarbeit. "Das ist eine andere Form des Kulturtransfers. Der erste, der sich dafür interessierte, war Goethe, als er in Straßburg lebte", betont Florian Siffer.
Der Kurator fügt hinzu: "Das Elsass hat auch in technologischer Hinsicht eine Drehscheibenstellung. Die in München erfundene Lithografie erleichtert die Reproduktion von Bildern und senkt die Produktionskosten. Die Technik setzt sich im Elsass frühzeitig durch, ab 1810-1820, viel früher als im restlichen Frankreich."
Kindliche Propaganda
Die elsässischen Jugendbücher entgehen nicht den Schandtaten der Erwachsenenwelt. "Die Verbindungen zwischen Frankreich und Deutschland werden in der Ausstellung regelmäßig durch die gewählten Themen und die Arbeit der Illustratoren angesprochen, unabhängig davon, ob diese frei ist oder von den Verlagen gesteuert wird. Die Thematik der Konflikte ab 1870 führt zu einer spezifischen Literatur, die von den Illustratoren oft selbst aufgegriffen wird", betont Christine Esch, Leiterin der Bibliothèque Alsatique du Crédit Mutuel und zweite Kuratorin der Ausstellung.
So entschied sich Gustave Jundt dafür, seinen jungen Helden Hans an einem vertrauten Flussufer leben zu lassen, dessen gegenüberliegendes Ufer von einem geduldigen Riesen bewohnt wird. In Pique-Toto, la Paix et la Guerre (1888) beschwört Charles Émile Matthis die Figur des Großvaters herauf, der von der verlorenen Heimat erzählt. „Er gehört zu jenen Alben, die die Erinnerung in den Familien, die sich für * entschieden haben, weiterleben lassen wollen", erklärt Christine Esch.
1917 illustrierte die Straßburgerin Paula Jordan Ich hattet einen Kameraden: ein Kriegsbuch für unsere Kleinen von Karl König. Das in der Hauptstadt Straßburg des Reichslandes Elsass-Lothringen erschienene Buch handelt von zwei deutschen und elsässischen Freunden, die sich im Kampf verbrüdern. Während des Dreißigjährigen Krieges (1939-1940) wurde auf Initiative des französischen Generals de Lattre de Tassigny eine kurzlebige Imagerie de l'armée du Rhin gegründet. Durch diese Literatur, die instrumental
Pazifischer Synkretismus
„Enfantillages, l'Alsace aux prémices de l'illustration jeunesse“ setzt seinen Weg bis ins Jahr 1972 fort. Mit der Gründung des Illustrationsateliers an der École des arts décoratifs (der heutigen Haute école des arts du Rhin) durch den Moselaner Claude Lapointe tritt in Straßburg eine neue Generation von Illustratoren und Illustratorinnen auf den Plan. „Was sich damals herauszubilden schien, war eine Kinderliteratur, die sich einer gemeinsamen deutsch-französischen Geschichte des Elsass zuwenden wollte“, analysiert Christine Esch auf glücklichere Weise.
*Nach dem Krieg von 1870 gibt der Frankfurter Vertrag den Elsässern und Moselanern die Möglichkeit, sich für die deutsche oder französische Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Im zweiten Fall müssen sie auf französisches Territorium auswandern.
„ Keine Bücher für Kinder. Enfantillages Kapitel 2“
Ab dem 22. November ist die chronologische Fortsetzung der Ausstellung „Enfantillages“ im Musée Tomi Ungerer - Centre international de l'Illustration in Straßburg zu sehen. Ausgehend von Tomi Ungerers Werk untersucht sie die moderne Entwicklung der Kinderliteratur hin zu einer Kunst, in der die Kinder selbst die Bedeutung des Werks konstruieren.
Pierre l'ébouriffé et le bon Paul : histoire morale en 12 images destinée à la récréation et à l'instruction de l'enfance. Wissembourg, F. Wentzel, 1869 (27,8 x 21,5 cm) Strasbourg, Bibliothèque des Musées. Photo : M.Bertola / Musées de Strasbourg